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Untersuchungshaft

Ein Haftbefehl und die sich daran in der Regel anschließende Untersuchungshaft kommt sowohl für den unmittelbar Betroffenen als auch für Väter, Mütter, Kinder, Brüder, Schwestern, Ehefrauen und zum Teil auch Freunde sehr überraschend und schockierend.


Untersuchungshaft

03.03.2017 / Zlatko Prtenjaca / Strafrecht

Ein Haftbefehl und die sich daran in der Regel anschließende Untersuchungshaft kommt sowohl für den unmittelbar Betroffenen als auch für Väter, Mütter, Kinder, Brüder, Schwestern, Ehefrauen und zum Teil auch Freunde sehr überraschend und schockierend. Viele verfallen in eine Art Schockstarre, andere meinen durch übermäßigen Aktionismus helfen zu wollen, etc.

Der Schock

Der Schock sitzt vor allem deshalb tief, weil vor der Anordnung von Untersuchungshaft eine Hausdurchsuchung stattfindet. Die Hausdurchsuchung wird oftmals – wenn ein ermittlungstaktisches Abwarten möglich ist – auf die frühen Morgenstunden eines Freitags oder Samstags gelegt, weil die Strafverfolgungsbehörden glauben, dass zu diesen Zeiten Strafverteidiger schwierig zu erreichen sind. Einige Polizeibeamte, die die Hausdurchsuchung durchführen, machen sich nicht die Mühe eines Perspektivwechsels; sie dringen in die Privatsphäre ein und durchsuchen die privaten Räumlichkeiten in Wild-Western-Manier. Man hört sehr oft von Mandanten oder deren Ehefrauen, dass alles in der Wohnung verwüstet wurde, wobei auch teilweise der Umgangston mancher Polizeibeamter als respektlos beschrieben wird.

Die gesamte Durchsuchungssituation ist selbstverständlich spannungsgeladen, auf der einen Seite wird in die Wohnung des Betroffenen eingedrungen, die unter besonderem Schutz des Art. 13 GG steht und zum anderen wissen die teilnehmenden Polizeibeamten nicht – mancher ist vielleicht noch unerfahren – was sie in der Wohnung erwartet. Es sind schon Polizeibeamte im Rahmen von Hausdurchsuchungen ums Leben gekommen, weil beispielsweise der in zivil gekleidete Beamte der Kriminalpolizei beim Klingen an der Wohnungstür durch einen Schuss mit einer Schrottflinte ohne vorherige Warnung durch die verschlossene Wohnungstüre tödlich getroffen wurde. Mir hat ein auf Flucht befindlicher Mandant einmal berichtet, dass er kurz vor der Hausdurchsuchung die heranfahrenden Polizeibeamten (es waren sehr viele!) bemerkt hatte, woraufhin er seine geladene Waffe in die Hand nahm, das zu durchsuchende Objekt zum Hausausgang verließ und an mindestens 6 Polizeibeamten vorbeischlenderte, ohne dass etwas passierte.


Was tun?

Wenn der Betroffene keine Erfahrung mit Untersuchungshaft, der Polizei oder dem Strafverfahren allgemein hat, wird er in der Regel nicht wissen, wen er als Verteidiger mit seiner Interessenvertretung beauftragen soll. Oftmals kümmert sich dann die Familie um die Beauftragung mit einem Rechtsanwalt. Wer bereits Erfahrungen hat oder von Bekannten eine Empfehlung bekommen hat, wird schon während der Hausdurchsuchung dafür sorgen, dass Verteidiger X benachrichtigt werden soll. In jedem Fall ist es angezeigt, so schnell wie möglich einen Verteidiger zu beauftragen, damit bereits bei der Polizei – also vor der Vorführung zum Haftrichter – ein Rechtsanwalt da ist, der dem Mandanten dann die ersten wichtigen Hinweise für weiteres Verhalten geben kann.

Polizeibeamte, Staatsanwaltschaft und Haftrichter haben den Erlass eines Haftbefehls in aller Regel bereits vor der Wohnungsdurchsuchung abgesprochen, so dass die Vorführung zum Ermittlungsrichter oftmals mit der Anordnung von Untersuchungshaft endet. Die Untersuchungshaft ist für den Betroffenen und seine Familie die schlimmste Zeit. Dies liegt zum einen an der Ungewissheit für alle, was am Ende des Tages als Ergebnis rauskommt, aber auch an dem Umstand, dass während der Untersuchungshaft der Betroffene 23 Stunden in seiner Zelle verbringt und zwar manchmal mit Zellenkollegen, die sehr nervig sein können. Jeder meiner Mandanten beschwert sich beispielsweise massiv über das Essen in der JVA Stuttgart-Stammheim. Die Familie kann den Mandanten nur zweimal im Monat besuchen, etc. Die Familie sollte jetzt so schnell wie möglich dem Mandanten seine eigene Wäsche in die JVA schicken, damit er die Anstaltsklamotten nicht tragen muss und Geld auf seine Konto überweisen, damit der Mandant sich wenigstens Schokolade beim alle 14 Tage stattfindenden Einkauf besorgen kann.

Parallel hierzu beantragt der Verteidiger die Akteneinsicht bei der zuständigen Staatsanwaltschaft. In einer Haftsache hat der Verteidiger einen Anspruch auf sofortige Akteneinsicht zumindest in die Beweismittel, auf die der Ermittlungsrichter den Erlaß des Haftbefehls stützt. Mit der Akte besucht der Verteidiger seinen Mandanten in der JVA, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Wenn der Mandant einer geregelten Arbeit nachgeht, sollte besprochen werden, wie man die Angelegenheit mit dem Arbeitgeber kommuniziert. Oberste Prämisse ist es, das Arbeitsverhältnis zu retten.

Wege aus der Untersuchungshaft

Die beste Option ist es, den Haftbefehl aufheben zu lassen, weil der Tatverdacht doch nicht besteht. Die beste Option ist zugleich die schwierigste. Nach Stellung eines Haftprüfungsantrags muss der Ermittlungsrichter innerhalb von 2 Wochen eine mündliche Haftprüfung terminieren und danach entscheiden, ob der Haftbefehl aufgehoben wird. Der Mandant möchte lieber heute wie morgen raus, so dass er möchte, dass der Antrag schnell gestellt wird. Hierin liegt das Problem: Ein Richter hat noch kurz zuvor den hinreichenden Tatverdacht anhand der vorliegenden Beweismittel bejaht. Jetzt soll er nicht mehr bestehen. Das geht nur, wenn der Richter sich irrte oder der Verteidiger in kurzer Zeit den hinreichenden Tatverdacht derart erschüttern kann, dass der Ermittlungsrichter den Haftbefehl aufhebt. Beides ist möglich, aber eben schwer hinzubekommen in kurzer Zeit. Ein Mandant von mir verweilte mehrere Monate in Untersuchungshaft wegen des Verdachts eines versuchten Totschlags und ich schaffte es erst während des Schwurgerichtsprozesses ihn aus der Untersuchungshaft auf freien Fuß zu bekommen. Am Ende wurde er freigesprochen und wurde auch für die erlittene Untersuchungshaft entschädigt, aber seine verlorene Lebenszeit im Gefängnis gibt ihm niemand zurück.

In der Praxis kommt es viel häufiger vor, dass Haftbefehle nicht sofort aufgehoben, sondern gegen geeignete Auflagen außer Vollzug gesetzt werden, wie z.B. Reisepass abgeben, wöchentliche Meldeauflage bei der Polizei, Kautionszahlung in Höhe von Betrag X, etc. Der Verteidiger versucht diesen Weg mit der Staatsanwaltschaft und dem Ermittlungsrichter zu besprechen. Wenn die Staatsanwaltschaft dem Antrag nicht entgegen tritt, so hält sich der Ermittlungsrichter in der Regel an den „gemeinsamen“ Antrag. Leider kenne ich Staatsanwälte, die bisher immer gegen eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls waren. In diesem Fall muss dann der Ermittlungsrichter eine Entscheidung pro oder contra Mandant treffen. Die Außervollzugsetzung des Haftbefehls ist eine Einzelfallentscheidung, so dass eine Prognose auch nach mehr als 10-jähriger Berufserfahrung oftmals schwierig ist. Von Verteidigern, die den Betroffenen zu Beginn das „Blaue vom Himmel“ versprechen, halte ich wenig bis gar nichts. Man muss für die Interessen des Mandanten kämpfen und hierzu gehört es auch dem Mandanten und seiner Familie die Sach- und Rechtslage realitätsnah zu vermitteln. Ich habe schon Haftbefehle für Mandanten außer Vollzug gesetzt bekommen, die unter Verdacht standen mit 23,7 Kilogramm unerlaubten Handel mit Betäubungsmittel getrieben zu haben oder einen 27-fach Vorbestraften, der wieder ein Casino in Stuttgart ausgenommen hat. Und dann gibt es aber auch Fälle, in denen der Mandant mit 2 Kilo Betäubungsmittel nicht auf freien Fuß gesetzt worden ist. Es geht immer um ein Individuum, das eine ganz eigene Geschichte hat.

Die Menschen lieben den Verrat, aber niemand liebt den Verräter. So oder so ähnlich heißt doch das Sprichwort. Ich weiß nicht von wem es stammt, aber in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren kann der Verrat die Situation des Mandanten deutlich verbessern (in Betäubungsmittelverfahren nennt man sie „31er“). Dies müsste aber mit dem Verteidiger besprochen werden, weil eben auch viel schief laufen kann und in manchen Situationen ein Verrat zwar die sofortige Freiheit bringen kann, aber zu enormen Schwierigkeiten im weiteren Leben führen kann. Ich kann mich an einen Fall erinnern, in dem ich einen von fünf Angeklagten vertreten habe; alle standen unter Verdacht Mitglieder einer „Mafiagruppierung“ zu sein. Sie waren wegen schwerer räuberischer Erpressung angeklagt, weil zum Beispiel einem Opfer in den Oberschenkel gestochen und dem anderen mit der Kreissäge die Schädeldecke „angesägt“ wurde. Die zwei Hauptbelastungszeugen haben alle 5 Angeklagte belastet. Noch während des Verfahrens mussten sich diese Zeugen mit Hilfe des Staates eine neue Identität beschaffen. Sie haben neue Ausweispapiere, neue Namen und einen neuen Wohnsitz in einem anderen Bundesland bekommen. Meinen Mandanten konnte ich trotz Wohnsitzes im Ausland aus der Untersuchungshaft rausholen. Er hat am Ende eine Bewährungsstrafe erhalten. Die anderen 4 Angeklagten haben Freiheitsstrafen zwischen 2 Jahren 6 Monaten und 3 Jahren 3 Monaten erhalten. Schmerzensgeld haben die Zeugen nicht erhalten. Ich denke, dass sich der Verrat für diese Zeugen nicht ausgezahlt hat. Der Verrat sollte sehr gut überlegt sein. Dieser Weg sollte vom Mandanten nicht auf eigene Faust gegangen werden.

Darüber hinaus gibt es noch weitere Wege, um den Mandanten auf freien Fuß zu bekommen. Diese Wege sind jedoch eher rechtstechnischer Natur (z.B. zu lange Untersuchungshaft; die Taktung und Länge der Hauptverhandlungstage entspricht nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts) und sollen hier nicht weiter vertieft werden.


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